SEXUELLE FOLTER UND KOLLEKTIVER WIDERSTAND
AM BEISPIEL MEXIKO – SAN SALVADOR ATENCO
Felicitas
Treue
Redebeitrag in der Gedenkveranstaltung zum 18. Jahrestag der Massenhinrichtungen
an politischen Gegangenen im Iran
Frankfurt, 2. September 2006
„Ich bin nicht „das Opfer“, ich bin Norma Jimenez und ich nenne
meinen Namen, weil ich mich nicht schäme; Scham ist für die Feiglinge,
die uns festgenommen haben, die uns geprügelt haben, die uns vergewaltigt
haben, die uns gefoltert haben, die uns ins Gefängnis gebracht
haben und uns dort seit dem 3. und 4. Mai gefangen halten. Und
natürlich für diejenigen, welche die Befehle dazu geben und sich
auf einen angeblichen Rechtsstaat berufen, an den sie nicht einmal
selbst glauben.
Ich bin kein “Opfer“, ich bin eine Frau die nicht schweigt und
die – auch wenn es wehtut – nicht daran denkt, ihre Anklage zurückzuziehen.
Nicht weil ich an die Justiz der Regierungsbehörden glaube, sondern
weil ich ihr Spiel nicht mitspielen und zulassen werde, dass es
vergessen wird. Damit das Volk weiß was geschehen ist und versteht,
dass wenn wir es akzeptieren es sich wiederholen wird. Wir können
und sollen nicht noch mehr Straffreiheit ermöglichen.“
Norma ist eine 25-jährige Studentin, eine von mehr als 50 Frauen,
die am 3. und 4. Mai in San Salvador Atenco und Texcoco, ca. eine
Stunde von Mexiko Stadt entfernt von Polizei und Militär festgenommen
wurden. Eine von mehr als 50 Frauen, die an diesen Tagen verprügelt,
vergewaltigt und sexuell gefoltert wurden. Eine von den mehr als
20 Frauen, die dies öffentlich gemacht haben und die Verantwortlichen
im Rahmen einer kollektiven Anzeige strafrechtlich belangt haben.
Eine von 7 politischen Gefangenen, die sich seitdem weiterhin
im Gefängnis befinden, angeklagt wegen Entführung und Anschläge
auf die Verkehrswege.
Am 3. Mai kam es in Texcoco und San Salvador Atenco zu einem
brutalen Polizei- und Militäreinsatz, nachdem die Polizei zunächst
mit äußerster Brutalität eine Gruppe von Straßen-BlumenverkäuferInnen
am Verkauf ihrer Ware gehindert und festgenommen hatte. Aus Protest
gegen die Festnahmen und in Solidarität kam es zu Straßenblockaden,
die von der Polizei angegriffen wurden. Im Verlauf der Auseinandersetzung
erschoß die Polizei einen 14-jährigen Jungen. Im Verlauf des Abends,
nachdem die Geschehnisse bekannt geworden waren, kamen noch viele
Menschen nach San Salvador Atenco, um sich zu solidarisieren und
den Widerstand gegen eine befürchtete Invasion des Dorfes zu stärken.
Am folgenden Morgen wurde unter Einsatz von über 3000 Polizisten,
mit der Unterstützung von Spezialeinheiten und Militär das Dorf
gestürmt, Häuser durchsucht und verwüstet, über 200 Personen festgenommen
und viele mehr schwerst verletzt. Alle Festgenommenen wurden bei
der Festnahme und während des Transports zum Knast gefoltert,
einige mussten im Krankenhaus behandelt werden. Alle Frauen wurden
in den Bussen in Anwesenheit der anderen Gefangenen sexuell gefoltert,
viele von ihnen vergewaltigt.
Derzeit befinden sich noch knapp 30 Gefangene in Haft, der Rest
konnte zunächst auf Kaution freikommen. Um das Ziel dieser Repression
zu verstehen, muß gesagt werden, dass die Bevölkerung und die
Volksfront zur Verteidigung des Landes von San Salvador Atenco
den erfolgreichen und organisierten Widerstand gegen die neoliberalen
Regierungspläne symbolisiert. Vor einigen Jahren konnten sie den
Bau eines neuen Flughafens für Mexiko Stadt verhindern, der ihre
Enteignung und Umsiedlung bedeutet hätte. Seitdem haben sie sich
immer wieder mit anderen sozialen Bewegungen solidarisiert und
kurz vor den Ereignissen hatten sie eine wichtige Rolle bei der
Begleitung von Subcomandante Marcos durch den Staat von Mexiko.
Die äußerst brutale und breitangelegte Repression war geplant
und von den verschiedenen staatlichen Ebenen und Parteien getragen.
Hier sollte deutlich gemacht werden, dass der Staat Widerstand
nicht akzeptiert, hier wurde nachträglich bestraft für den Sieg
gegen den Flughafen. Die Festnahme und Folter all derjenigen,
die gekommen waren, um sich zu solidarisieren, sollte zeigen,
dass der Staat auch das nicht akzeptiert und dass der zu zahlende
Preis für Widerstand, Organisation und Solidarität sehr hoch ist.
Speziell diese massive und sehr offene sexuelle Folter ist eine
in Mexiko lange nicht angewandte Methode. Ich möchte diese Vorfälle
als Beispiel nehmen, um verschieden Aspekte aufzuzeigen und auch
darüber zu sprechen, wie die Frauen ihren Widerstand gegen diese
Situation organisieren.
Seit jeher und weltweit wurde und wird Folter als Instrument der
sozialen Kontrolle eingesetzt, in der Regel als wichtiges Instrument
im Rahmen einer umfassenderen Repressionsstrategie. In diesem
Sinne haben Kapitel zu Foltermethoden und –praktiken immer ihren
Platz in Lehrbüchern und Ausbildungsmaterialien zur Aufstandsbekämpfung
und psychologischen Kriegsführung gehabt: von Nord- und Lateinamerika,
über den Nahen Osten, Afrika und Asien.
Das Ziel der Folter ist die Zerstörung der Persönlichkeit, der
Identität des gefolterten Menschen; es geht darum die Person zu
manipulieren und ein Verhalten herbeizuführen, das den Interessen
der Folterer entspricht. Es geht aber stets auch um die Zerstörung
sozialer Netzwerke, der Solidarität und des Vertrauen innerhalb
von Familien, Gruppen und Organisationen. Systematische Folter
soll Angst, Terror, Misstrauen hervorrufen und dadurch organisierten
Widerstand beseitigen, bremsen, verhindern und schlussendlich
die Gesellschaft als Ganzes kontrollierbar und manipulierbar machen.
Folter an Frauen schließt in der Regel auch sexuelle Folter mit
ein, eine in besonderem Maße traumatische Foltermethode. Sexuelle
Folter betrachtet die Frau als Besitz und Sexualobjekt. Das Eindringen
in und die Manipulation ihres Körpers soll die absolute Kontrolle
über ihren Willen, ihr Leben und ihr Schicksal demonstrieren und
symbolisieren. Für den Folterer, den Polizist, Soldat, Gefängniswärter,
etc., stellt die Benutzung des weiblichen Körpers eine Machtdemonstration
dar und stellt klar wer befiehlt und wer sich unterzuordnen hat.
In diesem Sinne stellt die sexuelle Folter eine beispielhafte
Bestrafung kämpfender oder sich rebellierender Frauen dar. Derjenigen,
die es gewagt haben, aus ihren traditionellen Rollen auszubrechen,
Verantwortung und Führung zu übernehmen und die Machtverhältnisse
in Frage zu stellen. Denn das wurde uns Frauen noch nie verziehen:
uns aufzulehnen gegen die herrschenden Verhältnisse und uns außerdem
als Frauen aufzulehnen. In der Folter stellt der männliche Folterer
die Dominanzverhältnisse wieder her, unterwirft die Frau und zwingt
sie zurück in die Position, die er bzw. die Gesellschaft ihr zugedacht
haben. (Zumindest versucht er das, denn unzählige kämpfende Frauen
haben gezeigt, dass die Folter zwar ihren Körper unterwerfen kann,
nicht aber ihre Seele, ihren Willen und ihre Überzeugungen!)
Die Vergewaltigung und andere Formen der sexuellen Folter versuchen,
in die intimsten und grundlegendsten Bereiche der Persönlichkeit
und Würde einzudringen und diese zu zerstören. Deshalb endet das
Leiden an der Folter nicht, auch wenn die Frauen ihre Freiheit
bereits wiedererlangt haben. Die Spuren lassen sich nicht auslöschen,
die Erinnerung bleibt Begleiter für den Rest des Lebens und die
Folgen der Folter gehen über das individuelle hinaus, dringen
in den familiären und sozialen Bereich ein. Genau das ist das
Ziel der sexuellen Folter: Gruppen, Gemeinschaften, Familien als
ganzes zu demütigen und zu kontrollieren. Sexuelle Aggressionen
an Frauen in Anwesenheit ihrer Familien, Genossen, Gemeinschaft,
richten sich nicht ausschließlich gegen die Frauen, sondern sind
als Angriffe auf die Werte und die Ehre der Gemeinschaft gedacht,
welche die Frau als Trägerin der Kultur und der Symbole der Gemeinschaft
wahrnimmt.
Und schließlich gilt es noch ein weiteres Element in dieser Analyse
zu betrachten. Frauen waren und sind seit jeher Kriegsbeute, die
Belohnung von Soldaten und Polizisten für ihre Beteiligung und
Verdienste im Kriegsgeschehen. Sie haben die offizielle Erlaubnis,
mit den Frauen zu machen was sie wollen, die Frauen sind in dieser
Situation Besitz ihrer Folterer.
Sexuelle Folter hinterlässt auch deshalb so weitreichende und
langfristige Folgen, weil die betroffenen Frauen zusätzlich zu
dem Erlittenen mit den Reaktionen ihres Umfelds und der Gesellschaft
konfrontiert werden. Die herrschenden kulturelle Normen, Wert-
und Moralvorstellungen in den verschiedenen von Männern dominierten
Gesellschaften, die von Männern und Frauen verinnerlicht wurden,
machen es Frauen nach sexueller Folter extrem schwierig wieder
ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Sexuell gefolterte,
vergewaltigte Frauen werden häufig stigmatisiert, sie werden betrachtet
als befleckte, verunreinigte, der Ehre beraubte Opfer, eine Wahrnehmung
welche die Schamgefühle noch verstärkt und ein Sprechen über das
Erlebte fast unmöglich macht. Nur ein geringer Teil der Frauen
findet den Mut, öffentlich über das Erlebte zu sprechen und selbst
innerhalb von Organisationen oder Familien wird sexuelle Folter
häufig tabuisiert.
Die Frauen von Atenco haben vom ersten Moment an NICHT geschwiegen,
in Briefen und Zeugnissen aus dem Knast haben sie zunächst anonym
und später auch unter ihrem Namen begonnen zu sprechen und öffentlich
anzuklagen. Bei dem ersten Prozesstermin haben sie die Möglichkeit
genutzt, vor der Presse über die sexuelle Folter zu sprechen.
Dies waren entscheidende Momente, denn nur die Frauen selber können
ihr Schweigen brechen, aber wenn sie es getan haben, können andere
ihre Berichte aufnehmen und sie in ihrem Kampf unterstützen. Das
Thema der sexuellen Folter ist daraufhin zu einem wichtigen Bestandteil
der Solidaritätsaktionen für die Festgenommenen geworden. Wichtig
daran ist meines Erachtens vor allem, dass die Tabuisierung aufgehoben
wurde, die Frauen sind nicht allein mit ihrem Erlebten und der
Umgang mit und der Widerstand gegen die sexuelle Folter ist nicht
nur Aufgabe der betroffenen Frauen.
Ein weiterer wichtiger Schritt in diesem Zusammenhang war die
kollektive Strafanzeige gegen die Verantwortlichen. Für uns als
begleitende Menschenrechtsorganisation und als Psychologen war
es wichtig, dass die Frauen einen gemeinsamen Schritt gehen, sich
gemeinsam in diesem Schritt bestärken und klar machen, dass es
sich nicht um Einzelfälle handelt. Dabei ist die Strafanzeige
nicht gewachsen aus der Hoffnung, dass die staatlichen Stellen
Gerechtigkeit walten lassen, sondern sie entspringt dem Bewusstsein
nicht schweigen zu wollen, deutlich zu machen, dass man gezeichnet
aber nicht gebrochen ist und den Kampf um Gerechtigkeit, an allen
Fronten wieder aufzunehmen.
Sexuelle Folter will Frauen in ihrer Würde und Widerstandskraft
so weit schwächen, dass sie sich nicht weiter auflehnen, dass
sie die ihnen zugedachte Position einnehmen und damit auch anderen
zeigen, dass Widerstand sinnlos ist. Und das geht uns alle an!
Ich denke, in dem Moment, indem wir den kollektiven Kampf ernst
nehmen, müssen wir dafür sorgen, dass wir niemanden verlieren
in diesem Kampf. Sexuell gefolterte Frauen, auch Männer, brauchen
Räume und Unterstützung, um das erlebte artikulieren zu können.
Damit sie das Trauma verarbeiten können, aber auch um sicher zu
sein, dass sie mit der Solidarität ihrer GenossInnen rechnen können
und dass der Widerstand gegen die sexuelle Folter zu einem Teil
des gemeinsamen Kampfes wird.
Edith, politische Gefangene von Atenco schreibt:
„Wir wurden gefoltert, vergewaltigt, verprügelt,
aber das war es wert
wenn wir die Einheit schaffen und die Andere Kampagne stärken!“
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Die Autorin ist Psychologin/Psychotherapeutin und Mitglied des
Colectivo Contra la Tortura y la Impunidad (CCTI) - Kollektiv
gegen Folter und Straflosigkeit, einer mexikanischen unabhängigen
Menschenrechtsorganisation.
treue@contralatortura.org
www.contralatortura.org
Andeesheh va Peykar Publications
www.peykarandeesh.org